Der Friedhof...

Der Friedhof, der bis ins Herzen des Dorfes wuchs

Der Friedhof wuchs bis ins Herzen des Dorfes. Eines Tages erreichte er auch das Haus von Mia und Georg.

„Komm, lass uns zwei Plätze im Friedhof hier vorne kaufen“, sagte Mia zu Georg.
„Wozu um Gottes Willen brauchen wir jetzt so was?“, antworte Georg gestört.
„Na, damit wir, wenn es soweit ist, hier vor unserem Haus begraben werden. Stell dir vor, dann wird es so sein, als ob wir nie von daheim weggehen würden.“, erklärte Mia.
Georg überlegte. Die Worte von Mia waren gar nicht so verkehrt. Nach einer Pause schaute er seine Frau zustimmend an und lächelte.

Zusammen gingen sie zum Bürgermeister des Dorfes und erzählten ihm von ihrem Vorhaben mit den Gräbern. „Willst du etwa auch im Tod neben deinem Weib ruhen, Georg?“, witzelte der Bürgermeister. Mia wusste Bescheid über die Grobheit und die grenzenlose Frechheit des Bürgermeisters und lies sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie war darauf vorbereitet, und vor allem wusste sie auch noch, wie man ihn zu Verhandlungen bringen kann. Denn mit leeren Händen wollte sie auf keinen Fall nach Hause gehen. Also zog sie das am frühen Morgen geschlachtete Huhn aus der Tasche und reichte es ihm mit einer leicht übertriebenen freundlichen Kopfbewegung. „Das ist für Frau Bürgermeister“, starrte ihn Mia an, indem sie mit den Augen zum Huhn deutete.
„Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen“, brachte sein Mund heraus, seine Augen wogen schon gierig das Huhn.

Als die beiden das Rathaus verließen, hatten sie das vom Bürgermeister unterschriebene Papier in den Händen. Nun waren sie die Eigentümer der beiden Grabplätze. Mias Gesicht strahlte vor Freude, dessen von Georg vor Bewunderung für seine Frau. Noch bevor sie nach Hause gingen, besuchten sie den Dorfpriester, nahmen von ihm den Segen und Weihwasser, um die Gräber zu weihen.

Schon am nächsten Tag begannen Mia und Georg mit der Arbeit am Friedhof. Zuerst machten sie ein kleines Türchen in den Friedhofszaun direkt gegenüber ihrem Gartentor und montierten daran ein Schloß mit zwei Schlüsseln. Danach richteten sie die Gräber her. Sie gruben und rechten die Erde, zeichneten zwei gleichgroße Rechtecke und glätteten die Erde darauf. Mia pflanzte lilane und weiße Tulpen und einen kleinen Jasminstrauch aus ihrem Garten. An jedem Grabkopf kam jeweils ein Holzstamm, der später durch aus Marmorstein gefertigten Kreuzen mit Fotos von den beiden ersetzt werden würde. Zum Schluss errichtete Georg an den vier Ecken Zementpfosten und umschloss die Gräber mit einem Drahtzaun, den er grün wie das junge Gras anstrich.

Den ganzen Sommer saßen Mia und Georg tagsüber auf der Holzbank vor ihrem Haus und bewunderten die fröhlichen Gräber. Sie waren glücklich und stolz wie nie zuvor.

Die Jahre vergingen ruhig und der Friedhof wuchs bis ans andere Ende des Dorfes. Eines im Nebel versunkenen Herbsttages als sie wie immer nach dem Frühstück ans Tor eilten, um einen Blick auf die Gräber zu werfen, sahen sie direkt vor ihren Gräbern den Dorfpriester und ein paar Leute, die einen Sarg auf den Schultern trugen.
„Wer ist gestorben?“ fragte Georg. „Peter, der Dorfalkoholiker, der von allen verlassen und nun tot aufgefunden wurde“, sagte der Priester.
„Und was macht ihr hier bei unseren Gräbern?“, wollte Georg sofort wissen.
„Wir wollen ihn hier begraben, denn es gibt keine freien Plätze außer diesen“, antwortet der Priester und setzte weiter die Zeremonie fort.
Mit einem Sprung durch die Zauntür stand Georg schon zwischen dem Priester und den Gräbern und mit lauter Stimme befahl er: „Halt, hier wird niemand begraben außer mir und meiner Mia“.
„Ah, ihr seid doch noch am Leben. Ihr könntet später bestimmt irgendwo anders Plätze finden“, konterte der Priester leicht gestört.
„Auf keinen Fall“, erwiderte Georg und streckte beide Arme aus. Der Priester versuchte mit seiner Hand Georg beiseite zu schieben. Doch Georg widersetzte sich mit aller Kraft, so dass der Priester über den Drahtzaun stolperte und mit dem Kopf gegen einen Zementpfosten fiel.
Später als der Arzt kam, konnte dieser nur noch den Tod des Priesters feststellen.

Der Friedhof wuchs weiter, bis er das ganze Dorf völlig umgab. Von Mia und Georg war seit dem Tag keine Spur mehr zu sehen. Die Dorfbewohner erzählen, dass die zwei in den Nachbarwald geflohen und dort von den Wölfen gefressen worden wären. In Mias und Georgs Gräbern schlafen noch heute der Dorfpriester und der Dorfalkoholiker ihren Schlaf der Gerechten.

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
  • Internet- und E-Mail-Adressen werden automatisch umgewandelt.
  • Zulässige HTML-Tags: <a> <em> <strong> <cite> <code> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd>
  • Zeilen und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • You may use [view:name=display=args] tags to display views.

Weitere Informationen über Formatierungsoptionen